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ZKS-News

«Vereine sollten in verantwortungsvoller Weise die Sportangebote wieder starten»

Der Jugend- und Breitensport wurde durch Corona auf den Kopf gestellt. Siegfried Nagel, Professor für Sportsoziologie und -management und Direktor des Instituts für Sportwissenschaft an der Uni Bern, erklärt, wie sich die eingeschränkte Sportaktivität auf die Jugendlichen auswirkt und wie Vereine diese bei der Stange halten können.

Herr Nagel, vor allem Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren sind von einer Art Sportverbot betroffen und werden teilweise aus dem sozialen Netzwerk gerissen. Was kann das für Folgen haben?

Der Vereinssport stellt für Kinder und Jugendliche eine wichtige Freizeitbeschäftigung dar. Diese bietet mit Sportaktivitäten einen Ausgleich vom Alltag, ermöglicht vor allem aber auch soziale Kontakte zu Gleichaltrigen. Solche Peer- und Freundschaftsbeziehungen über das Elternhaus und Bildungsinstitutionen hinaus sind wichtig für die gelingende Entwicklung von Heranwachsenden. Wenn die regelmässigen gemeinsamen Treffen im Vereinskontext nicht mehr möglich sind, besteht die Gefahr der Vereinsamung und psycho-sozialer Probleme.

Jugendliche, die Sport treiben, sind doppelt bestraft: Ihr Leben ist eingeschränkt und das Auffangnetz Sport respektive Sportverein fällt auch weg. Wie können Vereine diese Jugendlichen bei der Stange halten?

Vereine sollten – soweit es die Pandemie-Situation zulässt – in verantwortungsvoller Weise die Sportangebote wieder starten. Hierbei sind allenfalls Anpassungen und Schutzmassnahmen notwendig, indem das Training draussen mit angepassten Organisations- und Sportformen stattfindet. Solange das gemeinsame Sporttreiben und die direkten Treffen ausserhalb des Sports eingeschränkt sind, können der gegenseitige Kontakt und das Gruppengefühl auf digitalem Weg – wie zum Beispiel durch Online-Meetings oder Gruppenchats – soweit wie möglich erhalten werden.

Aktuelle Zahlen des Landessportbunds Thüringen, Sachsen sowie Sachsen-Anhalt zeigen, dass die Kategorie Jugendliche bis 18 Jahre den grössten Anteil an Vereinsaustritten ausmachen. Wie ist dies zu werten?

Die vergleichsweise hohen Fluktuationsraten in dieser Altersgruppe sind aus der Perspektive der Jugendlichen und ihrer biographischen Entwicklung durchaus nachzuvollziehen und in gewisser Weise normal. Viele treten im Kindesalter in einen Sportverein ein und treiben dort eine bestimmte Sportart. Im Jugendalter wechseln vielfach die Sportinteressen, aber auch die schulische und berufliche Ausbildung erfordert höhere zeitliche Ressourcen. Trotzdem sollten Sportvereine flexibel sein und versuchen, sich den veränderten sportlichen Bedürfnissen und Interessen dieser Jugendlichen zu stellen und entsprechend angepasste Sportangebote zu machen.

Es sei besonders alarmierend, dass gerade bei Jugendlichen die Konsequenzen der wochenlangen Inaktivität noch nicht absehbar seien und diese für einen längeren Zeitraum dem Sportverein verloren gehen. Was wird diesbezüglich auf die Vereine zukommen?

Aus meiner Sicht sollten Sportvereine versuchen, ihre Sportangebote baldmöglichst wieder durchzuführen und auch neue Mitglieder in diesen Altersgruppen zu gewinnen. Digitale Medien und körperliche Inaktivität haben zwar während der Pandemie an Bedeutung gewonnen, aber der natürliche Bewegungsdrang von Kindern und das Bedürfnis von Jugendlichen, sich mit Gleichaltrigen persönlich zu treffen, sind immer noch von grosser Bedeutung. Hier gilt es von Vereinsseite mit entsprechenden Angeboten aktiv zu sein.

Wie schwierig wird es sein, Jugendliche wieder in die Vereine zu bringen? Welche Ansätze dürften am wirksamsten sein? Kennen Sie vielleicht Klubs, die mit kreativen Ideen und Projekten erfolgreich unterwegs sind?

Jugendliche werden nicht automatisch zum Vereinssport zurückfinden, sondern sind mit attraktiven und bedürfnisorientierten Sportangeboten direkt anzusprechen. Dabei sind die Sportinteressen von Jugendlichen zu berücksichtigen, zum Beispiel durch attraktives Training und Wettkämpfe in auswählten Sportarten, aber ohne sture Erfolgsorientierung, sondern durch aktuelle Sport- und Fitnesstrends, die mit einer gewissen zeitlichen Flexibilität angeboten werden. Dazu braucht es ausgebildete Trainerinnen und Trainer, die hohe fachliche Kompetenzen mitbringen, aber auch gut mit Jugendlichen umgehen können. Es sollten Angebote über den Sport hinaus gemacht werden, damit der Sportverein als Treffpunkt und Begegnungsmöglichkeit gesehen wird, um Freundschaften, soziale Kontakte und das Gruppengefühl zu pflegen. Schliesslich kann es für Jugendliche attraktiv sein, sich aktiv im Verein freiwillig zu engagieren und etwa beim Kindertraining mitzuwirken. Ein gutes Beispiel stellt das Modell 1418coach dar.

Wie können sich Vereine auf die kommenden Herausforderungen vorbereiten?

Zunächst ist die aktive Auseinandersetzung mit den spezifischen Herausforderungen wie die Bindung und Gewinnung von Mitgliedern und Ehrenamtlichen wichtig. Es gilt, diese Problemfelder aktiv anzugehen sowie systematisch und geplant Lösungen zu finden, die zum jeweiligen Sportverein mit seinen Zielen und Werten auch passen. Aus meiner Sicht ist es nicht sinnvoll, kommerzielle Sportanbieter zu kopieren. Denn Jugendliche suchen gerade in Zeiten von grosser Unsicherheit und gesellschaftlicher Individualisierung Orte und Institutionen, die Orientierung und Halt, soziale Gemeinschaft sowie Möglichkeiten der Mitbestimmung bieten.

Inwiefern stehen Behörden und die Politik in der Pflicht, dem Jugend- und Breitensport unter die Arme zu greifen bzw. was müssen sie Ihrer Meinung nach tun?

Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass auch der Jugend- und Breitensport in der sportpolitischen Diskussion hinsichtlich der Bewältigung der Corona-Krise berücksichtigt wird. Hierbei sind vor allem geeignete Regelungen und Schutzkonzepte wichtig, die eine rasche, aber verantwortungsvolle Wiederaufnahme des Sportbetriebs ermöglichen. Mögliche Einschränkungen im Kinder- und Jugendsport sollten zukünftig sehr genau geprüft werden. Weiterhin sollte auch Breitensport möglichst unbürokratisch finanziell unterstützt werden, wenn bei Vereinen finanzielle Engpässe entstanden sind. Die budgetierten J+S-Gelder sollten in geeigneter Form ausgeschüttet werden, auch wenn die Sportangebote für Kinder und Jugendliche seit dem letzten Herbst teilweise nur in stark reduzierter Form oder gar nicht durchgeführt werden konnten. Weiterhin würde ich mir die gezielte Unterstützung von Vereinen wünschen, die bislang unterrepräsentierte Gruppen wie zum Beispiel Mädchen und junge Frauen – vor allem mit Migrationshintergrund – oder Menschen mit Behinderung stärker fördern möchten. Denn gerade in der aktuellen Pandemie-Situation besteht die Gefahr, dass sich soziale Ungleichheiten im Sport wieder vergrössern.

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