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Gesellschaftliche Bedeutung

Sportvereine als politische Schwergewichte

Die Entstehung der Sportvereine geht auf mittelalterliche Schützenfeste zurück. Prägend war vor allem im 19. Jahrhundert die Turnbewegung in einem patriotisch-militärischen Umfeld.

Turnvereine waren die ersten Horte für Sportvereine.

Turnvereine waren die ersten Horte für Sportvereine.

Frauen waren längst nicht immer willkommen.

Frauen waren längst nicht immer willkommen.

Militärischer Vorunterricht war wichtig für die Vereinsentwicklung.

Militärischer Vorunterricht war wichtig für die Vereinsentwicklung.

Walter Mengisen, Co-Rektor der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM.

Walter Mengisen, Co-Rektor der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM.

Walter Mengisen sitzt in seinem Büro in Magglingen mit wunderbarem Blick über den Bielersee und das Seeland. Der Co-Rektor der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM zeigt auf einen Kunstdruck von Albert Ankers Gemälde «Turnstunde in Ins» aus dem Jahr 1879: «Die Schweizer Armee war zu jener Zeit in einem schlechten Zustand. Deshalb wurde 1876 mit der Militärverordnung der Turnunterricht obligatorisch.» Der passionierte Historiker blickt gar bis ins Mittelalter zurück, um die Ursprünge der Vereine festzumachen: «Damals wurden erste Schützenfeste veranstaltet; man schoss auf einen Holzvogel auf einer Stange. Parallel fanden Läufe – auch für Frauen – und Wettkämpfe im Steinstossen statt», erläutert Mengisen. «Das waren erste Formen von Vereinsgründungen.»

Die grosse Vereinsentwicklung passierte indes zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Friedrich Ludwig Jahn als grossem Treiber und Begründer der Turnbewegung in Deutschland. Hintergrund war im damals von Napoleon besetzten Deutschland die Bildung der nationalen Wehrhaftigkeit. «Die Organisationsform war eine Riege mit Vorturner», führt Walter Mengisen aus. «Alle trugen die gleichen weissen Gewänder.» Doch die nationalistischen Ideen von Turnvater Jahn waren im aufgeteilten Deutschland konservativen Kräften ein Dorn im Auge; sie verordneten 1820 in Preussen und in anderen deutschen Staaten ein Turnverbot, das bis 1842 anhielt. Dies hatte hierzulande direkte Auswirkungen: Deutsche Turnlehrer immigrierten in die Schweiz und erhielten Anstellungen an Mittel- und Hochschulen. «Es waren erste Horte für Vereine», sagt Walter Mengisen. Der Deutsche Adolf Spiess war 1833 der erste Turnlehrer in der Schweiz, an der von Pestalozzi gegründeten Schule in Burgdorf. Dort waren bereits auch Mädchen zum Turnunterricht zugelassen. Einer der Schüler war Johannes Niggeler, der spätere Turnpionier der Schweiz.

«Sport ist die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln.»

Walter Mengisen, Co-Rektor der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM

Unabhängig vom Ursprung der Turnvereine entwickelten sich in England die Clubs ebenfalls an Bildungsinstituten. «Das war eine Angelegenheit der Oberschicht und es diente ausschliesslich dem Freizeitvergnügen», weiss Mengisen. Dazu passte die Wettleidenschaft der Briten, die «auf alles und jegliches wetteten – und dafür eignete sich der Sport hervorragend». Ende des 19. Jahrhunderts schwappten die sogenannten English Sports auf das Festland über.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die (Turn-)Vereine grossen Einfluss auf die Bildung der Nationalstaaten, wie Walter Mengisen erklärt: «Die Turnvereine waren eine Zelle der Nationenbildung und wesentliche Träger der Demokratie.» So war Turnvater Jahn eine treibende Kraft bei der Frankfurter Nationalversammlung 1848. In der Schweiz waren die Turnvereine nach dem Sonderbundskrieg bei der Gründung des Bundesstaats prägend. Noch heute zeugen an Turnfesten die vaterländischen Reden zu Beginn ebenso davon wie das Turnerlied. «Das Sektionsturnen oder der Oberturner sind ebenfalls Zeugen, wo der Ursprung der Turnvereine liegt», ergänzt Mengisen.

So bedeutsam die politische Komponente bei der Entstehung der Vereine gewesen war, so politisch blieb der Sport in der Folge, wie Walter Mengisen festhält und dafür das berühmte Zitat des Militärwissenschaftlers Carl von Clausewitz abwandelt: «Sport ist die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln.» Strategie und Taktik seien wesentliche Zutaten des Sports: «Deshalb ist ein Gegner zwingender Bestandteil. Besonders im Kalten Krieg war der Sport ein beliebtes Propagandamittel, um aufzuzeigen, dass das eigene politische System überlegen ist.» Gleichwohl spricht er dem Sport auch eine friedensfördernde Komponente zu.

Die Bedeutung des Sports für die Integration sei eine noch junge Entwicklung, berichtet Walter Mengisen. «Dieses Potenzial wurde erst spät erkannt.» Ein Phänomen der letzten Jahre sei auch die starke Ausdifferenzierung: «Heute kann man von der Geburt bis zum Tod Sport treiben. Ebenso ist es problemlos möglich, im Alter von 60 Jahren noch in eine neue Sportart einzusteigen. In den 1950er- oder 60er-Jahren blieb man das ganze Leben bei einer Sportart.» So sehr sich dies in den letzten Jahren verändert hat, so darf man laut Mengisen «nie vergessen, dass nur Sport treiben kann, wer genügend Freizeit hat».

 

Quelle des Basisbeitrages: Dossier «Herausforderung Sportverein», Mai 2018
Herausgeber: Zürcher Kantonalverband für Sport und Sportamt Kanton Zürich

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